Abt Albert: "Der Heilige Norbert würde für ein geeintes Europa kämpfen!"

Abt Albert, wir feiern 900 Jahre Prämonstratenser-Orden. Was hat Ihnen im Jubiläumsjahr bislang Freude bereitet?

Abt Albert: Natürlich lief das Jubiläumsjahr pandemiebedingt nicht so wie geplant. Viele schöne Feste und Feiern sind ausgefallen. Umso mehr freut mich, dass wir am 6. Juni den Grundstein für unseren Klosterneubau in Magdeburg legen konnten, am Festtag des Heiligen Norbert. Mit diesem Projekt stellen wir eine wichtige Weiche für die Zukunft. Die Grundsteinlegung hat auch bei vielen Menschen für große Freude gesorgt. Wir haben viel Zuspruch erfahren in Gratulationen, Zusendungen und Spenden. In den Zeiten der Kirchen-Schließungen sind Neuanfänge eine Wohltat.

Auf was freuen Sie sich in der nahen Zukunft?

Ich würde mich freuen, wenn die Corona-Pandemie endlich ein Ende nimmt und wir alle wieder ganz normal arbeiten können. Wir sind in der Abtei sehr stark verbunden mit den Menschen, die rings um uns leben. Und wenn deren Leben lahmgelegt wird, dann werden wir auch in unserem seelsorgerischen Tun ausgebremst. Vielen Menschen fehlte der Halt, weil sie keine Gottesdienste mehr besuchen konnten. Und auch die Pflege von Geselligkeit und Gemeinschaft fehlt uns allen derzeit noch.


Abt Albert beim Interview in der Abtei Hamborn
Abt Albert beim Interview in der Abtei Hamborn. Foto: Daniel Elke / Abtei Hamborn

Was haben Sie während des Lock-down gemacht?

Wir sind nach anfänglichen Schwierigkeiten neue Wege gegangen, etwa durch Videoübertragungen aus der Kirche und Zoom-Gottesdienste, durch das Verteilen von Geschenktüten mit Anleitungen zu Hausgottesdiensten. Am Anfang fiel es uns schwer, insbesondere ältere Menschen zu erreichen. Doch im zweiten Lock-down haben immer mehr von unseren Angeboten Gebrauch gemacht. Kinder oder Enkelkinder haben zum Beispiel ihren Eltern oder Großeltern zur Teilnahme am Zoom-Gottesdienst verholfen. Manches werden wir beibehalten - ein positiver Nebeneffekt.

Kommen wir zu der Person, die für das Jubiläum verantwortlich ist. Der Heilige Norbert von Xanten gründete 1121 den Prämonstratenser-Orden. Was könnte er heute bewirken?

In der Gegenwart würde Norbert sicher den Europagedanken betonen und für ein vereintes Europa einstehen und kämpfen. Norbert schaute weit über den Tellerrand seiner kleinen eigenen Welt hinaus. Außerdem war er bekannt als Friedensstifter, der jegliche Art von Streitigkeit zu schlichten versuchte und dabei sehr erfolgreich war. Konflikte gab es damals genug. Unter anderem deshalb wurde Norbert auch von den einfachsten Leuten geschätzt und geliebt. Sie müssen sich das ganz praktisch vorstellen: Wenn jemand Frieden schafft und alle haben danach Ruhe und Sicherheit und können aus ihrem Leben etwas machen, ihrer Arbeit und ihren Geschäften nachgehen, eine Familie gründen und pflegen – dann ist man einfach froh und dankbar. Deshalb würde Norbert auch sehr gut in unsere Zeit passen.

Wann haben Sie sich zum ersten Mal mit seinem Orden befasst?

Ich bin im direkten Umfeld der Abtei aufgewachsen. Deshalb habe ich schon als Kind etwas vom Heiligen Norbert gehört. Das war natürlich zunächst recht oberflächlich und auf ein großes Ölbild des Heiligen in unserer Kirche beschränkt. Wir wussten, dass Norbert den Orden gegründet hat, der in der Abtei zuhause ist. Über die „Abteijugend“, die Messdiener-, Kinder- und Jugendarbeit der Prämonstratenser Pater Gottfried, Pater Stephan und Pater Andreas bin ich dann stärker mit meinen späteren Mitbrüdern in Berührung gekommen. Besonders geprägt und zum Nachdenken gebracht haben mich die Zeltlager, die wir im Sommer durchführten. Unter einfachsten Gegebenheiten zu leben – nicht vergleichbar mit heutigem Camping – das machte unsere Gedanken frei für das Wesentliche und Wichtige des Lebens, und für Gott. Im Zeltlager habe ich zum ersten Mal an einen Weg als Ordensmann gedacht.

Was hat Sie letztendlich bewogen, selbst in den Orden einzutreten?

Mein ältester Bruder Clemens ist 1977 in den Orden eingetreten. Wir sind damals mit unseren Eltern zur Einkleidung mit dem Ordensgewand ins Stift Schlägl nach Oberösterreich gefahren. Ich habe dort zum ersten Mal ein Prämonstratenserkloster in seiner Vollform gesehen. Und das hat mich fasziniert. Danach habe ich meinen Bruder in Schlägl öfter und auch schon mal für drei Wochen besucht – und schließlich den Entschluss gefasst, Theologie zu studieren. Am 24. Februar 1981 fand meine Einkleidung in Schlägl statt, womit das einjährige Noviziat, also das erste Ausbildungsjahr als Novize der Abtei Hamborn in Schlägl begann.

Was ist Ihnen aus dieser Zeit in Erinnerung geblieben?

Viel Schönes und auch ein kleines Abenteuer: Ich habe mal einen jungen Polen der Gewerkschaft Solidarnosz über die deutsch-österreichische Grenze geschmuggelt. Schlägl liegt im Dreiländereck von Deutschland, Österreich und der damaligen Tschechoslowakei. Dort war damals noch der „Eiserne Vorhang“. In Schlägl bekamen wir Besuch vom Pfarrer der polnischen Stadt Nowa Huta. Er hatte einen jungen Mann mitgebracht, der unbemerkt über die Grenze sollte, warum auch immer. Es ging um die Solidarnosz, da war es eine Ehrensache zu helfen. Der Prior bat mich, das zu übernehmen. Als Wanderer und Touristengruppe getarnt sind wir zum Dreisesselberg gelaufen, haben uns bei schönstem Wetter unter die vielen Besucher gemischt und ihn an einen Mitbruder mit polnischen Sprachkenntnissen auf der deutschen Seite übergeben. Der Pfarrer von Nowa Huta war über diese Nachricht so sehr erleichtert, dass er mir das Abzeichen der Solidarnosz an die Brust geheftet und mich zum Ehrenmitglied ernannt hat. Es war politisch eine hochspannende Zeit.

Muss sich die Kirche auch im Jahr 2021 über Grenzen hinwegsetzen?

Auf jeden Fall. Die Kirche ist das vermutlich älteste internationale Unternehmen der Welt. Wenn ich heute so manche Entwicklungen nach rechts sehe, neue Betonung von Nationalstaaterei, dann muss ich sagen: Das ist dem Denken unserer Ordensgemeinschaft und auch dem christlichen Denken insgesamt völlig entgegengesetzt. Wir stehen dafür ein, niemanden auszugrenzen. Die Menschheit muss sich immer mehr als eine große Familie begreifen. Das ist unser inhaltlicher Beitrag und ein wichtiges unserer Ziele.

Welche Bedeutung hat Ihre Gemeinschaft für das gegenwärtige Leben außerhalb der Klostermauern?

Stabilität, Fels in der Brandung, Kontinuität und Verlässlichkeit. Ich könnte mir vorstellen, dass das wichtige Aspekte sind, um die wir uns als Klostergemeinschaft bemühen sollten und die dann auch wahrgenommen werden. Und gerade im Duisburger Norden geht es auch darum, für ärmere und sozial benachteiligte Menschen da zu sein, bis dahin, dass man den Schwächsten unter ihnen wenigstens noch Würde durch Zuwendung und Wahrnehmung erhält und bewahrt. Wir sind als Prämonstratenser natürlich vor allem in der Seelsorge gefragt, sei es in den Pfarreien oder in den Krankenhäusern, im Rundfunk oder an anderen Orten. Was wir bei der Erfüllung dieser Aufgaben nicht vergessen dürfen, ist die Suche nach neuen Wegen, um die Menschen unserer Zeit weiter zu erreichen.

Was für Wege meinen Sie?

Wir haben zum Beispiel hier in der Pfarrei St. Johann ein Musikprojekt ins Leben gerufen und wollen so junge Talente entdecken und fördern. Oft bleiben begabte Musiker unentdeckt, weil das soziale und familiäre Umfeld eine Förderung nicht hergibt. Wir glauben aber, dass viele Kinder gerne ein Instrument spielen oder in einem Chor singen würden. Das Projekt ist religionsübergreifend angelegt. Jeder ist willkommen, egal, ob er evangelisch oder katholisch, Jude oder Moslem ist oder gar keiner Glaubensgemeinschaft angehört. Die Kinder sollen miteinander musizieren, auch außerhalb von Gottesdiensten. Eines der langfristigen Ziele ist, dass sie ihre unterschiedlichen musikalischen Traditionen besser kennen lernen und sich so gegenseitig besser zu verstehen beginnen. Sie erinnern sich? Norbert, Friedensstifter?

Am 25. Dezember ist dann der offizielle Jubiläumstag. Was wünschen Sie sich zu diesem Anlass?

Ehrlich gesagt: Guten Nachwuchs für den gesamten Orden! Wir leben nicht gerade in Zeiten, in denen die Leute mit „Hurra!“ und in Scharen in die Klöster eintreten. Aber ein paar Apostel, junge Leute, die aus dem Geist der Apostelgeschichte heraus leben wollen – das würde schon reichen. Außerdem wünsche ich mir, dass es uns Prämonstratensern gelingen möge, authentisch und erfolgreich zu leben und zu arbeiten. Und es möge uns gelingen, gute Impulse zu geben, zum Beispiel für die Ökumene, im Kleinen – also unter allen Christen – und im Großen – also allen Religionen und auch darüber hinaus allen Mitmenschen unserer Zeit.